Im
Kastanienbaum 4. Kapitel
Ab in
den Bus
Nachdem
Julia die Woche hinter sich gebracht hatte, hatte sie noch
einen Tag Zeit, nämlich den Samstag, bis sie am Sonntag
ins Camp fahren musste. Vielleicht hätte sie auch nicht
gemusst, wenn sie sich nur ordentlich lange und nervig gestäubt
hätte. Aber ihre Mama meinte es ja nur gut. Julia auch,
deshalb tat sie ihrer Mama den Gefallen und fuhr ins Camp.
Außerdem konnte das mit Jack zusammen ja auch nicht ganz
so schrecklich werden. Aber den Samstag hatte sie noch und
diesen Samstag wollte sie genießen. Sie begann ihn mit einem
ausführlichem nussreichem Frühstück am Fensterbrett zusammen
mit den Eichhörnchen. Es war noch duster draußen, denn es
ging ja langsam auf den Winter zu, wenn auch noch Herbst
war. Obwohl es so dunkel war, saß Julia mit den Eichhörnchen
am Fenster. Ihre Mama schlief noch. Ihre Mama schlief immer
sehr, sehr lange, deshalb frühstückten sie wohl auch am
Wochenende normalerweise nie zusammen. Nach dem Frühstück
schlich Julia auf Zehenspitzen durch die Wohnung, zog sich
eine warme, dicke Daunenjacke an, schnappte sich den Schüssel,
öffnete die Haustür leise, schloss sie auch wieder leise
(das war aber immer ein schwerer Akt, da die Tür furchtbar
quietschte) und schon war sie draußen. Vielleicht wäre es
gar nicht nötig gewesen, dass Julia so leise war, denn ihre
Mama schlief tief und fest, aber Julia dachte: Sicher ist
sicher. Sie kletterte die Kastanie hinauf. Spielte Fangen
mit den Eichhörnchen, sie summte mit den Eichhörnchen und
tanzten mit ihnen durch den Baum. Gesummt und manchmal auch
gesungen wurden volkstümliche Eichhörnchenlieder, wie "Eichhörnchen
klein", "Das Wandern ist den Eichhörnchens Lust", "Schlaf
Eichhorn, schlaf" (wenn sie ein Nickerchen halten wollten),
"Zeigt her eure Pfötchen" und "Eichhörnchen in der Grube".
Manchmal stritten die Eichhörnchen auch über die Herkunft
ihrer Lieder. Besonders "Eichhörnchen in der Grube" war
umstritten, da manch ein Nager behauptete die Eichhörnchen
hätten es nur von den Hasen kopiert. Trotzdem wurden diese
Lieder immer wieder gerne gesungen und Julia konnte sie
alle auswendig. Bevor Julias Mama aufwachte, schlich sich
Julia wieder in die Wohnung um sich danach wieder aus dem
Staub zu machen. Denn ganzen Tag lungerte sie in der Kastanie
rum, hätte ihre Mama mit offenen Augen aus dem Fenster gesehen,
hätte sie Julia sehen können. Aber sie sah Julia nicht und
war überzeugt, dass diese zu einer Schulveranstaltung gegangen
war. Abends kam Julia kurz nach Haus um dem Abendessen beizuwohnen.
Sich irgendeine Ausrede aus den Fingern saugend schaffte
sie es wieder in den Kastanienbaum um dann ins Bett zu gehen,
jedoch nicht ohne vorher gemeinsam mit Jack, Bob und Ilona
ihren Koffer zu packen. Am nächsten Morgen wachte sie auf,
streckte und reckte sich, ging ins Bad, putzte sich die
Zähne. Heute stand sogar ihre Mama früh auf und sie frühstückten
zusammen. Julia fand das so unnormal, dass es ihr fast unangenehm
war. Ihre Mama lachte sie und versuchte sie aufzumuntern.
Julia ihrerseits versuchte aufgeregt und positiv gespannt
zu wirken. Innerlich war sie aber aufgewühlt und ängstlich
und als sie im Auto ihrer Mama saß und diese sie zum Abfahrtort
kutschierte, wurde ihr immer mulmiger, obwohl Jack sich
vorsorglich in ihrem Rucksack deponiert hatte und ihr durchgehend
aufmunternde Worte zuflüsterte. Auf dem Busbahnhof konnte
Julia schon die anderen Kinder sehen, die alle aufgeregt
und glücklich aussahen. Ihren Rucksack über Schulter, Jacks
Geflüster im linken Ohr, Mamas Ratschläge im rechten und
direkt vor sich ein Haufen gut gelaunter Kinder fühlte sich
Julia beunruhigter als je zuvor. Wie sollte sie nur diese
drei Tage überstehen? Eine Gruppenleitern mit viel zu langen
Fingernägeln lachte sie an und sagte: "Dann bist du wohl
die Julia, alle anderes sind schon da. Dann können wir ja
jetzt abfahren! Los Kinder!" Die Kinder strömten in einem
alten, roten Bus, alle fröhlich kreischend, manche gaben
ihren Eltern vorher noch Abschiedsküsse, andere nicht. Julia
ließ sich schlaff von ihrer Mama umarmen und trottete dann
ablehnend auf den Bus zu. Im Bus lief sie bis ganz nach
hinten durch, wo sie ganz alleine sitzen konnte. Die Kinder
vorne schienen Spaß zu haben, einige waren untereinander
schon vertraut. Julia ließ sich gegen die Lehne fallen und
starrte aus dem Fenster. Als der Bus abfuhr, winkte ihre
Mama ihr hinterher, Julia winkte nicht zurück. Sie wollte
nicht unzufrieden wirken, aber Zufriedenheit wollte sie
auch nicht zeigen, zumal sie nicht zufrieden war.
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Jack
blieb vorsichtshalber im Rucksack, obwohl niemand auf Julia
achtete. Die Fahrt kam ihr furchtbar lange vor, als ob sie
einen ganzen Tag gebraucht hätte, dabei dauerte sie nicht
mal zwei Stunden. Jack munterte sie zwar immer wieder auf,
aber trotzdem spürte sie Feigheit in sich. Sie war zu feige
auch nur ein Wort an irgendeins der anderen Kinder zur richten,
obwohl sie eigentlich Lust dazu hatte. Zum Beispiel hätte
sie gerne Cleo angesprochen, ein ziemlich großen Mädchen,
das die ganze Zeit lachte und sang und überhaupt sehr nett
zu sein schien. Auch Molle weckte Julias Interesse. Sie
war wohl bereits eine Freundin von Cleo oder die beiden
hatten sich sofort ins Herz geschlossen. Sie wirkten wie
ein Herz und eine Seele. Auch Danny wirkte freundlich. Er
war aufgeschlossen und schien jegliche Kartenspiele und
Tricks perfekt zu beherrschen. Viele andere Kinder erregten
ebenfalls Julias Aufmerksamkeit. Doch andere fielen ihr
auch gar nicht auf. Hoffentlich würde alles gut werden.
Doch Jack war optimistisch. "Vielleicht findest du ja ein
paar zweibeinige Freunde!", meinte er zuversichtlich. |