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Im
Kastanienbaum 3.Kapitel
Ich
muss wohin, wo du nicht hin musst
Eines
Tages, kurz vor den Herbstferien, als Julia abends in ihrem
Zimmer saß und mit den Eichhörnchen ‚Ich sehe was, was du
nicht siehst' spielte, rief ihre Mama sie zum Abendessen.
"Ich komme ja gleich, Mama!", rief Julia und blickte sich
skeptisch um. |
Die
Eichhörnchen hatten ihr wahrlich eine harte Nuss zu knacken
gegeben. Sie sagen sie sahen etwas das orange war. Julia
sah aber verflixt noch mal nichts Orangefarbenes. Jedes
noch irgendwie als orange zu definierendes Ding hatte sie
bereits genannt: Ihr Sommerkleid, ihren Filzer, die Knöpfe
ihres Sommerkleides, ihren Deutschhefter, ihre Sommersprossen,
ihre Ringelsocken, den achten Ring ihrer Ringelsocken, ihr
Plastiklaster, alles. Sie hatte sogar schon die untere Rückennaht
ihres Sommerkleides in Betracht gezogen, denn den Eichhörnchen
war alles zuzutrauen. Erst letztens hatten sie ihre rechte,
hintere Sommersprosse, direkt neben dem Ohr gewählt. Julia
war natürlich nicht darauf gekommen. Wie auch? Auch dieses
Mal schien sie zu verlieren. "Ihr habt sicher wieder irgendwas
ausgewählt, was mikro-mini-mäßig ist! Wohlmöglich ein verblichener
Ketschupfleck auf meinem Rücken. Hä? Ist es einer?" "Nein,
ist es nicht.", sagte Lola, das hellste aller anwesenden
Eichhörnchen. Ingesamt war sie allerdings nicht das hellste.
Ihre Zwillingsschwester Ilona war noch einen Tick heller
als sie und auf diesen Unterschied legten die beiden auch
gorßen Wert. Julia hatte sie einmal verwechselt, weil
sie so in Eile war, da hatten die beiden sich furchtbar
aufgeregt. Von wegen bei ihnen glich kein Haar dem anderen.
Sie hatten Julia sicher einen einstündigen Vortrag gehalten
über Fellfarbe, Haarkrümmung und Fußkrallen. Im Grunde fand
Julia das sogar ganz interessant, doch verwechselt hatte
sie die beiden nie mehr.
"Es
ist ganz, ganz einfach! Es bleibt theoretisch gar nichts
anderes mehr übrig!", versuchte Jack sie aufzumuntern. Julia
rümpfte ihre Nase und überlegte, wenn Jack das sagte müsste
es eigentlich stimmen. Eigentlich, sicher konnte man sich
da nie sein. "Julia! Abendessen!", rief ihre Mutter erneut.
"Wir
machen nachher weiter, okay?", fragte Julia. Die Eichhörnchen
nickten nur, sie hatten nichts dagegen, dass auch Julia
mal wieder etwas essen musste, denn sie selbst knabberten
die ganze Zeit auf ein paar Nüssen herum. Kurz bevor Julia
aus der Zimmertür verschwand, drehte sie sich nochmals um
und sagte: "Das Schild in meinem Sommerkleid!" Jack lachte
und schüttelte den Kopf. Julia lachte auch. In der Küche
duftete es nach Mikrowellenessen. Ja, ja, wenn die Mikrowolle
nicht wäre, müsste Julia wohl verhungern. "Wie war's auf
Arbeit Mama?"; fragte Julia. "Ach, alles wie immer, Frau
Ritter hat mich nur wieder genervt. Du weißt doch, sie hat
immer etwas an meinen Layouts auszusetzen, ich habe manchmal
echt das Gefühl, sie möchte bloß meinen Job haben." Julia
nickte nur gedankenverloren. Sie fragte sich immer noch,
was wohl das Orangefarbene war, wonach die Eichhörnchen
suchten. "Und wie war es in der Schule, Schatz?" Julia blickte
auf ihren Teller. Spaghetti Bolognese, wie jeden Mittwoch.
Nur noch zwei Tage und dann konnte sie den ganzen Tag in
der Kastanie sitzen und mit Jack, Lola, Ilona und wie sie
nicht alle hießen spielen. Außerdem hatte sie gestern etwas
Taschengeld bekommen, sie wollte noch einen Nüsse-Großeinkauf
tätigen. "Wie immer, alles okay in der Schule.", antwortet
Julia etwas verspätet. "Hattest du Ärger?", fragte ihre
Mama fürsorglich. Julia schüttelte jedoch nur den Kopf.
Linda war doof, aber sie war es nicht wert erwähnt zu werden.
"Habt ihr irgendwelche Tests zurückbekommen?" Julia schüttelte
wieder den Kopf. "Habt ihr Hausaufgaben aufbekommen?" Julia
nickte zur Abwechslung. "Soll ich dir dabei helfen?" Julia
schüttelte ihren Kopf. Das hatte Jack schon getan. "Hast
du sie schon gemacht?" Julia nickte. "War sonst irgendwas?",
fragte ihre Mama, die es Leid war Julia alles aus der Nase
zu ziehen. Julia schüttelte den Kopf. Sie aßen eine Weile
schweigend. Ihre Mama versuchte Julias Blick aufzufangen,
aber Julia starrte nur konzentriert auf ihren Teller. Für
Julias Mama sah das so aus, als wäre Julia irgendwie bedrückt,
dabei dachte sie nur krampfhaft nach. Orange! Was war, denn
verflixt noch mal, orangefarben? "Julia, du kommst mir manchmal
so bedrückt vor.", sagte ihre Mama schließlich schweren
Herzens. |
Was?",
fragte Julia alarmiert. "Du kommst mir bedrückt vor."
"Ach was, mir geht's gut. Ich suche bloß verzweifelt
nach etwas Orangefarbenen.", meinte Julia schließlich.
"Deine Haare?", fragte ihre Mama verständnislos. "Klasse!
Danke, Mama!", freute sich Julia. Warum war sie nicht
selbst darauf gekommen? Etwas Offensichtlicheres gab
es doch gar nicht! "Weißt du Julia", begann ihre Mama
zögerlich, "ich habe mir gedacht du bräuchtest mal etwas
Abwechslung. Du hast nicht wirklich Freunde und... na
ja, ich dachte mir, du könntest in den Herbstferien
in ein Camp fahren, wo du mal mit anderen zusammen bist,
die so sind wie du." Julia war baff. Na klar hatte sie
Freunde, jede Menge sogar. Nur das die eben etwas anders
aussahen als anderer Leute Freunde. Sie waren rotbraun,
klein und hatte lange Schneidezähne. Na und? Waren sie
deshalb keine Freunde? Julia brauchte nicht in ein Camp
zu fahren, um jemanden zu treffen der so war wie sie.
In dem Camp war sicher niemand so wie sie. |
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Aber
hier, direkt vor ihrer Haustür, da waren ihre Freunde.
Warum dachte ihre Mama, sie würde in ein Camp wollen?
Hatte sie irgendetwas Falsches gesagt? Vielleicht,
als sie letztens zusammen das doppelte Lottchen gesehen
hatten? "Ich will aber doch gar nicht in ein Camp.
Wie kommst du denn auf die Idee, Mama?", fragte Julia
ein wenig nörgelig. "Also, ich sehe dich einfach nie
mit anderen Freunden zusammen, du bist immer so alleine,
und da habe ich gedacht...." Julias Mama redete und
redete. Julia hörte gar nicht mehr zu. Nur der letzte
Satz traf volle Breitseite. "... tja, und deshalb
habe ich auch schon gebucht."
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Julia
starrte ihre Mutter an, als wäre sie ein Geist.
Sie konnte es kaum fassen. "Julia, ich weiß, dass
du jetzt nicht so begeistert bist, aber wenn du
erst ein Mal da warst, dann wird es dir gefallen.
Glaub mir. Es sind doch nur drei Tage. Jetzt sag
nicht, das du dich weigerst." Julia sagte nicht,
dass sie sich weigerte. Julia sagte nichts. Sie
stand auf und ging in ihr Zimmer. Ihre Mama blieb
erstaunt in der Küche zurück. "Und Julia? Weißt
du's? Weißt du was wir suchen?", fragten die Eichhörnchen,
als Julia ins Zimmer kam. "… Meine Haare... ",
grummelte Julia. "Du hörst dich ja an, als hätte
man dir deinen Wintervorrat an Nüssen weggefressen!",
meinte Jack. "Viel schlimmer noch.", sagte Julia.
Lola schnappte sich eine Nuss und knabberte nachdenklich
daran herum. Auch Jack kratze sich nur ratlos
hinter den Ohren. |
"Kann
denn Schlimmeres geschehen, als das zu verlieren,
wofür man den ganzen Sommer arbeitete, so wie
die Ameise jeden Tag schuftet?", fragte Bob, ein
besonders literarisch und psychologisch begabtes
Eichhörnchen. "Mama will mich in ein Camp schicken.
Drei Tage.", sagte Julia ausdruckslos. Da waren
die Eichhörnchen platt. Keines sagte ein Wort.
Julia grunzte nur unzufrieden. "Hast du sie denn
mal gefragt, ob du in ein Camp fahren kannst?",
fragte Lola. Julia schüttelte ihren Kopf. "Wie
kommt sie denn dann darauf?", fragte Jack ungläubig.
Julia zuckte nur die Schultern, ohne auch nur
ihr typisches Grunzen von sich zu geben. Bob,
der Psychologe erklärte: "Das ist doch gar nicht
schwer zu verstehen. Das ist typisch für Erwachsene.
Sie versuchen stets für ihre Kinder mitzudenken,
da sie mit der Weltauffassung leben, dass sie
klüger wären als ihr Sprösslinge, wobei sie zumeist
ja trotzdem nicht wissen, was diese wirklich wollen.
Deine Mama denkt wohl, du hättest keine Freunde
und sie müsste nun dafür sorgen, dass du welche
bekommst." "Aber ich erzähl ihr doch immer von
euch.", meinte Julia. Bob nickte und Jack sagte:
"Ja! Genau! Aber sie denkt sicher wir wären nur
fikitivite Freunde!" "Das heißt fiktive Freunde,
Jack.", erklärte Bob. "Na dann eben fiktive Freunde,
das ist mir eigentlich Schnurz. "Was sind denn
fiktivite Freunde?"; fragte Julia unwissend. "Fiktive
Freunde.", verbesserte Bob sie. "Quatsch Jack
nicht alles nach, was er sagt, zu fünfzig Prozent
verdreht er die Fremdwörter. Fiktiv, fiktiv bedeutet
soviel wie hypothetisch." Julia blickte nicht
klüger drein als vorher. "Mensch Bob, du kannst
doch unserer Julia kein Fremdwort mit einem Fremdwort
erklären!", sagte Jack. "Also Julia, fiktiv heißt
einfach vorgestellt. Vorgestellte Freunde." Julia
nickte und fragte dann: "Aber was soll ich jetzt
tun, ich will hier nicht weg." Jack grinste und
sagte: "Ach was! Die drei Tage werden wir schon
schaukeln!" "Wir?" Jack lachte und fragte: "Na,
denkst du ich würde dich alleine gehen lassen,
Julia?" |
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