Jack
sah für einen normalen Menschen vielleicht aus wie ein ganz
stinknormales Eichhörnchen, doch für Julia sah er anders
aus. Er hatte dieses gewisse Fell - etwas zu rot, etwas
zu strubbelig. Außerdem hatte er glänzende Augen, die besonders
schelmisch dreinblickten und klein war - im Vergleich zu
den anderen Eichhörnchen, doch er war auch noch relativ
jung. Flausen hatte er im Kopf und neugierig war er. In
Julias Rucksack versteckt war er schon einmal mit in die
Schule gekommen. Als Linda dann wieder über Julia herziehen
wollte, sprang er ruckzuck aus ihrem Ranzen und hüpfte Linda
direkt auf den Kopf, um ihr die ordentlichen, nach hinten
gestriegelten, Haare zu zerzausen. Linda schrie wie am Spieß,
denn sie hatte furchtbare Angst. Sie rannte auf dem Hof
umher, kreischte und heulte und flehte um ihr Leben, selbst
als Jack sich schon aus dem Staub gemacht hatte. Erst war
Julia besorgt, da sie Jack nirgendwo finden konnte. Er war
weder im Ranzen, noch im Klassenraum und auch bei den Tischtennisplatten
konnte sie ihn nicht erblicken. Aber als sie dann nach oben
schaute, sah sie ihn in einem Kastanienbaum sitzen. Sie
checkte die Lage und erklomm die Kastanie ebenfalls. Es
schien niemanden zu interessieren. Alle waren zu sehr mit
der heulenden Linda beschäftigt. Oben auf der Kastanie kicherten
und lachten Jack und Julia lautstark in der Sprache der
Eichhörnchen. Deshalb hatte sie wahrscheinlich auch niemand
gehört.
Nach
diesem Abenteuer hatte Jack jedoch entschieden, dass Schule
nicht sein Ding war, er bevorzugte es von Ast zu Ast zu
springen, anstatt im Klassenraum in einem Rucksack zu hocken.
Aber Linda zu erschrecken hatte er sichtlich genossen. Linda
hatte seltsamer Weise dann auch für ein paar Tage Abstand
von Julia gehalten. Jack war ein schlauer Kopf. Er konnte
zum Beispiel das kleine Einmaleins herunterrattern wie kein
anderes Eichhörnchen (er war ehrlich gesagt sogar das einzige
Eichhörnchen, welches das kleine Einmaleins konnte). Gelernt
hatte er es gemeinsam mit Julia. Sie hatte nämlich totale
Probleme mit Mathe und überhaupt war das Jonglieren von
Zahlen für sie eine Kunst für sich. Jack war ein Künstler,
der Meinung war jedenfalls Julia. Denn Jack war ein Mathematik-As,
darum half er ihr auch immer bei ihren Hausaufgaben. Er
sagte immer: "Mathematik ist echt schwer, aber für dich
hab ich das doch gerne gelernt, obwohl es sehr kompliziert
war." Julia dankte ihm immer lächelnd, obwohl sie wusste,
dass er es auch gelernt hatte um von den anderen Eichhörnchen
bewundert zu werden. Er war eben ein kleiner Angeber, aber
was sollte es, solange er Mathe konnte?
Abends,
wenn Julia manchmal nicht einschlafen konnte, dann erzählte
Jack ihr Geschichten. Und Jack konnte Geschichten erzählen!
Er erzählte Dschungelabenteuer, obwohl er sicher noch nie
im Dschungel war oder er erzählte das, was ihm letztens
Kanalratte Freddie erzählt hatte. Freddie kannte sich aus
in der Oberwelt. Aber auch unterirdisch entging ihm nichts,
da er mindestens die Hälfte des Tages in der Kanalisation
verbrachte. Jack veränderte Freddies Berichte natürlich
noch, er machte sie spannender, schneller, verruchter. Manchmal
war Julia so in seinen Bann gezogen, dass seine Geschichten
das Gegenteil von dem bewirkten, was sie sollten. Julia
war dann noch wacher, so als hätte sie einen Liter Cola
mit Koffein getrunken. Dann lag sie noch stundenlang wach
und dachte darüber nach, was alles hätte passieren können.
Jack war selbst von seinen Geschichten begeistert und wenn
er ein Mensch gewesen wäre, wäre er sicher Schriftsteller
geworden. |
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Wo
Julia war, durfte Jack nicht fehlen. Am Wochenende saßen
die zwei oft stundenlang in ihrer Kastanie und träumten
davon was wäre, wenn Jack auch ein Mensch wäre. Dann
wären sie vielleicht Geschwister gewesen, dann hätte
Julia einen echten Bruder gehabt. Aber dann müsste Jack
auch in die Schule gehen und darauf hatte er eigentlich
keine Lust. Auf die Idee, dass Julia ein Eichhörnchen
hätte sein können, kamen sie nie. Irgendwie war Julia
dafür schon Eichhörnchen genug. |
"Sag
mal, Julia, warum sprichst du eigentlich unsere Sprache,
aber sonst kein Mensch?", fragte Jack sie manchmal.
Julia knabberte dann immer an ihren Nägeln und überlegte,
bis sie sagte: "Also so recht weiß ich das auch nicht.
Soweit ich zurückdenken kann, konnte ich schon immer
eure Sprache sprechen. Vielleicht ist das ja eine
Gabe." Jack nickte und sagte: "Na klar ist es eine
Gabe! So wie ich die Gabe habe Mathematik zu verstehen!
Das ist von einer höheren Macht bestimmt! Vom großem
Eichhörnchen!" "Was ist denn das große Eichhörnchen?"
"Das große Eichhörnchen? Hast du noch nie von ihm
gehört? Es war das erste aller Eichhörnchen! Es war
das erste Lebewesen überhaupt. Noch vor den Einzellern!
Das große Eichhörnchen ist unser Schöpfer, es ist
auch dein Vorfahre! Wir stammen alle vom großen Eichhörnchen
ab, Elefanten, Menschen, Eichhörnchen, Krokodile,
alle." "In der Schule haben wir aber etwas anderes
gelernt." "In der Schule! Das große Eichhörnchen steht
über der Schule! Weißt du, wenn du abends in den Himmel
schaust, dann kannst du das große Eichhörnchen sehen,
denn es wacht über uns. Manchmal spricht es auch zu
besonderes Wesen. Erst letztens war es bei mir und
hat mir eine besonders große Haselnuss geschenkt,
weil es mich so nett findet. Das große Eichhörnchen
ist wahrlich großartig.", sagte Jack ehrfürchtig.
"Echt? Gibt es das große Eichhörnchen wirklich?",
fraget Julia respektvoll. "Ach, Quatsch. Glaub doch
nicht alles, was ich dir erzähle.", meinte Jack. Er
war eben ein Geschichtenerzähler und kein Wissenschaftler,
geschweige denn Theologe. So war das mit Jack, Julias
allerallerbestem Freund. |
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